Hintergrund

Projektbeschreibung

Die von Aktion Mensch geförderte Studie von Innocence in Danger e. V. zur „Versorgung kindlicher und jugendlicher Opfer von Kinderpornografie in Deutschland“ (2004–2007) war weltweit die erste ihrer Art.

Seit dem Untersuchungszeitraum (2000–2005) hat sich die digitale Welt rasant weiterentwickelt. Die Gesellschaft, besonders der Kinder- und Jugendschutz, steht vor immer neuen Herausforderungen. Sexualisierte Gewalt mittels digitaler Medien ist vielfältiger geworden. Sie reicht über ungewollte Konfrontation mit Pornografie, Cybergrooming, Sextortion, Sharegewaltigung, wie auch der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen (Sharegewalt), hin zum „Webcam Kindersextourismus“.

Heute besitzen knapp 27% der 6- bis 9-Jährigen bzw. knapp 69% der 10- bis 13-Jährigen ein eigenes Smartphone. Online sind laut DIVSI bereits 10% der 3-Jährigen. Und die Bitkom teilt mit, dass 39% der 6- bis 7-Jährigen, 76% der 8- bis 9-Jährigen und 94% der 10- bis 11-Jährigen online unterwegs sind. Am meisten gefährdet sind 9- bis 15-jährige Kinder und Jugendliche. Sie fangen an, sich digital zu bewegen, und wissen oft nicht genau, wie sie sich schützen können. Laut einer Befragung der Hochschule Merseburg leiden 45% der Mädchen und 14% der Jungen im Internet unter sexueller Belästigung.

Die Bundesregierung befördert die digitale Bildung. Es ist geplant, dass in naher Zukunft alle Grundschüler_innen über Tablets und Smartphones Zugang zu digitalen Lernwelten erhalten. Obwohl Kinder und Jugendliche ihre mobilen Endgeräte mit zum Unterricht bringen, mangelt es in den meisten Schulen an klaren Regeln. Schulen bleiben oft sich selbst überlassen, den Umgang mit digitalen Geräten und sozialen Netzwerken zu regeln, und sind damit überfordert. Sie wissen z. B. oft nicht, wie sie handeln sollen, wenn das Verbreiten von Sexting-Bildern (Sharegewaltigung) zu schlimmen Cybermobbing-Attacken führt. Die Jugendlichen aber wünschen sich kompetente Ratgeber.

Gleichzeitig wurden Schulen in den vergangenen Jahren immer häufiger von der Polizei in die Suche nach Opfern auf Missbrauchsabbildungen involviert, um zu helfen, mögliche Opfer und Täter_innen(-Netzwerke) zu identifizieren.

Die medizinischen und psychologischen Hilfs- und Beratungseinrichtungen, die Präventions-, Interventions- und Therapieangebote machen, und Schulen in Fällen digitaler sexualisierter Gewalt fachlich zur Seite stehen müss(t)en, sind häufig selbst noch nicht ausreichend über Ausmaß, Folgen und Interventionsstrategien bei digitaler sexualisierter Gewalt informiert.

Innocence in Danger e. V. hat mit Unterstützung von Aktion Mensch und MAXQDA daher eine zweite Studie durchgeführt und Fälle, Handlungsstrategien und Bedarfe zum Umgang mit Missbrauchsdarstellungen und Sexting-Bildern in den Jahren 2010–2015 erhoben. Zentral dabei war die Frage, wie in Deutschland derzeit die Versorgung von Betroffenen von Sharegewalt durch Schule und Hilfesystem gewährleistet ist und wo sich die Professionellen Unterstützung wünschen.

In den Jahren 2015–2018 wurden in einem dreistufigen Verfahren (Fragebögen, Interviews, Fokusgruppen) psychosoziale Versorgungsstellen, Schulen und Kultusministerien zu ihrem Umgang mit digitalen Medien, Missbrauchsdarstellungen, Sharegewaltigungen und dem Verfahren der Fotofahndung befragt. Die quantitativen und qualitativen Daten wurden ausgewertet und sollen eine Grundlage schaffen, professionelle Handlungsstrategien im Umgang mit Sharegewalt weiterzuentwickeln.

In der Studie formulierten die Fachkräfte aus Schule und psychosozialer Versorgung einen großen Bedarf an Wissen und Handlungsstrategien in Fällen von Sharegewalt. Dank einer weiteren Förderung durch die Aktion Mensch entwickelte Innocence in Danger e. V. im Anschluss an die Studie mit „Stoppt Sharegewalt“ ein Schulungsformat, in dem praxisnah und handlungsorientiert Wissen zu Sharegewaltigung und anderen Formen sexualisierter Cybergewalt vermittelt wird. In direkter Fallarbeit werden in Form eines Planspiels die digitalen Risiken und Chancen der Institution erlebt und reflektiert. Dabei werden individuelle Fragestellungen, Haltungen, Gefühle und Handlungsoptionen genauso bearbeitet wie die organisationalen Bedingungen, in denen fachliches Handeln im digitalen Kinderschutz passiert. Aus der praktischen Planspiel-Arbeit heraus können im Ergebnis konkrete und für die beteiligten Institutionen passgenaue Maßnahmenkataloge und Handlungsleitfäden für Prävention und Intervention entstehen.